Wandelndes Oberland
Ein Reisebericht.
Einer dieser letzten außergewöhnlich goldsonnigen Herbsttage bereitet wohl die beste Ausgangslage für einen gestressten Großstädter, seinen Entspannungsausflug aufs Land zu unternehmen. So geht es mit der Bayerischen Oberlandbahn von München aus nach Bad Tölz. Wie auf einer Klassenfahrt fühlt sich dieser Ausflug durch die immer noch fetten Wiesen mit ihren wiederkäuenden Kühen, in Richtung Alpen an. Das Ziel meiner illustren Gruppe ist die alte Wandelhalle in Bad Tölz, ein Gebäude von 1929, erbaut von Heinz Moll, dessen architektonischer Stil zur Postbauschule gezählt wird. Ein Stück modernistischer Architektur im bayerischen Oberland. Das Bauwerk öffnet sich mit einer Rotunde, gefolgt von einer 150 Meter langen Halle, die wiederum mit einem Halbrund am Fuße des Bauwerks abschließt. Als Wandel- und Trinkhalle, die als Treffpunkt und Flaniermeile der Kurgäste diente, war das Gebäude früher das Herzstück des Tölzer Kurbetriebs. Dieser Kurbetrieb, der noch zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts im Zeichen der Lebensreform einen Höhepunkt erlebte, ist aber mittlerweile überflüssig geworden. Ein veränderter Gesundheitsbegriff führt heute weg von den spartanisch-selbstquälerischen Wasseranwendungen hin zu allem was Spaß und Wohlbefinden schafft: Aktivitäten wie sie in Erlebnisbädern und diversen Wellnesskuren angeboten werden, aber auch Yoga, Ayurveda- und Spa-Programme ersetzen solche alten Strukturen, die dadurch obsolet werden.
Die Kraft von Heilquellen wird zwar weiterhin geschätzt, aber guckt man sich im Stadtbild von Bad Tölz um scheint dies hauptsächlich auf ältere Herrschaften zuzutreffen. So kommt es auch dazu, dass besagte Wandelhalle nicht mehr in ihrer eigenen tatsächlichen Funktion wahrgenommen wird, sondern zweckentfremdet werden kann.
"Redundanz" heißt die Ausstellung, die Anlass meines Besuches ist. Die Dependence der Galerie für Landschaftskunst /Hamburg wird in dieser ‘Halle Sued’ von Florian Hüttner, Deborah Schamoni und Stephan Dillemuth betreut. Hier ist ein Ausstellungsformat angelegt, das in offenen Prozessen versucht, künstlerische Produktionen zu zeigen, die über einen längeren Zeitraum vor Ort und für den Ort entwickelt wurden – soweit zumindest der Pressetext. Aber natürlich weiß ich, dass hier sich auch ein bestimmter Zusammenhang widerspiegelt; zwischen bestimmten Gruppen an Künstlern, die sich durch verschiedene Verbindungen in Bad Tölz treffen und eine gemeinsame Ausstellung bestreiten.
Vor Beginn dieser Ausstellung fanden in den Räumen immer wieder Performance- Abende statt oder wurden Konzerte veranstaltet. Auch wenn ich nicht allen Terminen beiwohnen konnte – die feierliche Finissage, die für den 6. Oktober angekündigt wurde, wollte ich mir nicht entgehen lassen. Denn jetzt war das kein Performance Abend allein, sondern eine veritable Ausstellung bei der all die riesigen Räume, also Rotunde, Halle und Halbrund, teilweise auch der Garten mit seinem Konzertpavillon, bespielt wurden.Das Spektrum der gezeigten Werke reicht von Malerei zu Skulptur, von Fotografie zu Film und von Installation zur Performance. Das Thema der ‘Redundanz’ klingt hierbei immer wieder an.
Als erstes fällt mir beim Eintreten die filmische Gemeinschaftsarbeit Nächstes Jahr in Bad Tölz von Maxi Baumgartner, Mirja Reuter, Philipp Gufler, Max Schmidtlein, Florian Gass und Lisa Schairer ins Auge. Angelehnt an Alain Resnais Klassiker Letztes Jahr in Marienbad wurde hier in Bad Tölz und München gefilmt. Kurgäste, Ärzte in Kitteln und Damen mit Sonnenbrillen wandeln durch Parks, Hallen und Rokokoschlösschen. In stetiger Bewegung begleitet sie die Kamera durch die fluchtenden Architekturen. Mittels der wieder abgefilmten Projektion des Videomaterials entsteht ein scheinbar endloser Effekt des Weiterblätterns, wo sich Aufnahme an Aufnahme reiht. Dadurch bekommt der Betrachter das Gefühl, Gedanken zerstreut, wie die Figuren im Film, durch die Szenen zu wandeln. Durch die stetige Fahrt der Kamera und das Wegfallen jeglicher Dialoge entsteht der Eindruck eines Kurbesuchs als ein Sog, der fragil und wenig statisch, seiner Zeit und ihrem gesellschaftlichem Raum enthoben zu sein scheint.
Die Arbeit Hygeia– und der Körper der Arbeit von Maxi Baumgartner nimmt einen konkreteren Bezug auf die Funktion des Ortes. Titelgebend ist die der griechischen Mythologie entstammende Göttin der Gesundheit Hygeia mit ihren beiden Schlangen, die Schutzpatronin der Apotheker. Als Brunnenskulptur mitten in der Rotunde nimmt sie den Raum in Beschlag. Mit auf einem Schattenriss einer Frau gestellten Tisch auf dem Fotos und Collagen der Künstlerin mit Lehrbüchern aus den 70er Jahren kombiniert werden, greift diese Arbeit Themen wie Selbstdarstellung des Körpers auf. Die verquere Inszenierung dieser Arbeit und die fotografische Selbstinszenierung der Künstlerin, mit Strumpfmaske und -bandagen im Kontext der dazu ausgestellten körperdidaktischen Publikationen, wirft einen kritischen Blick auf und hinter die oft propagandistische Darstellung des weiblichen Körpers im Dienste eines angeblich natürlichen Gesundheitsbegriffes.
Mirja Reuter setzt sich ebenfalls mit einem körperlichen Thema auseinander. Ihre Arbeit besteht aus einem runden Wandspiegel und einer gebogenen Garderobenstange, wie es solche in Kaufhäusern der 80er Jahre zu sehen gab. Auf dieser liegt eine Glasplatte und ist ein Drehrad mit Schlitzen angebracht, auf welchem man die immer gleichen unteren weiblichen Körperhälften eines Abbildes einer Skulptur erkennen kann. Mit dem Blick durch den Schlitz in den Spiegel und durch Drehen des Rades entsteht ein filmischer Effekt wie wir ihn aus frühen Filmanimationen und Daumenkinos kennen. Wenn man das Bild dieser unteren Körperhälfte genauer betrachtet, lässt sich erkennen, dass es stilistisch einer Skulptur entstammt, wie sie zu Zeiten des Nationalsozialismus angefertigt wurden. Wird hier vage und nicht zu laut ein Teil der Geschichte der Wandelhalle re-animiert? Meinen Eindruck von etwas Mystischem und Unheimlichen kann ich nicht von dieser Arbeit lösen erinnert mich der Glastisch und der Spiegel doch irgendwie an das Gläserrücken aus Jugendzeiten.Immer wieder tauchen in der Ausstellung Arbeiten auf, die auf den Ort rekurrieren, auch weil sie direkt dort entstanden sind. So etwa der Film von Franz Wanner, der die Geschichte der Halle mit aktuell inszenierten Aufnahmen kontrastiert oder auch die Malereien von Eichwald/Schmidtlein, die im Garten vor der Halle entstanden sind, und mit weiteren Objekten der Künstler in der Halle kombiniert wurden. Es trifft aber auch auf die Fotografien von Katharina Sieverding zu, welche vor Ort einen Film mit sechsundreißig Bildern verknipste, um ohne Selektion alle Abzüge hinter die Wandleuchter der sechsundreißig Säulen der Halle aufhängte. Diese Fotografien, denke ich, sind aber selbst auch eine amüsante Doppelung einer Ausstellungssituation oder einer Vernissage, von Gesprächen zwischen Menschen, von einer Party, wie sie vielleicht an diesem Ort stattgefunden hat, aber vielleicht auch am heutigen Tag wieder stattfinden könnte – ist die räumliche und personelle Konstellation doch in vielen Aspekten ähnlich.
Auch die Installation von Jörn Zehe steht in einem Verhältnis zur Architektur und Geschichte der Halle. Als wäre ein tatsächliches Leck im Dach werden die von der Decke fallenden Tropfen von blauen Plastikeimern aufgefangen, in welche zudem blanke Stromdrähte hineinragen. Dies verursacht hier eine Spannung der zwei gegenpoligen Komponenten, sodass bei jedem einfallenden Tropfen kleine blitzende und knisternde Spannungsentladungen erzeugt werden. rotz der gleichmäßigen Intervalle der einfallenden Tropfen lassen mich die kleinen Blitze dennoch jedes Mal zusammenzucken und ein Foto von diesen zu schießen war für mich schier unmöglich. In einer Installation in der Mitte der Halle hat Stephan Dillemuth zwei Ziegenfiguren auf zwei sich drehenden Zahnrädern montiert. Eine der beiden Ziegen steht auf einem Monitor, auf dem wir, in Intervallen geschaltet, unsere eigene Betrachterperspektive, aber auch die der um sich selbst kreisenden Ziegen erkennen. So trifft sich das Bild mit dem eigenen Blick trifft, den man auf die Installation ansetzt. Durch diese Spiegelung des Betrachters in der Installation und umgekehrt scheint es, als würde sich die Betrachtung wie bei einer Rückkoppelung verstärken.
Auch Stephan Janitzkys Arbeit spielt mit dem Motiv der Wiederholung und Redundanz von Information. Bezugnehmend auf die bereits existierende Bodeninschrift im Durchgang zwischen Rotunde und Halle, führt die Arbeit diese durch den Raum hinweg fort. In den bestehenden Text mit Information zur Entstehung der Wandelhalle interveniert Stephan Janitzky. Worte werden ergänzt oder lösen sich zusehends auf, sie verlieren ihren Zusammenhang mit dem der Inschrift und betreten die Halle. Als Buchstaben verlieren sie sich dort, treffen hier und da aber wieder aufeinander um neue Wörter zu bilden. So wird hier darauf angespielt wie zwar Schrift als Informationsträger fungiert, aber auch redundant werden kann.
Neben den verschiedenen mehr oder weniger statischen Ausstellungsobjekten gab es an diesem Eröffnungs- oder Finissageabend zusätzlich Performances und Aktionen u.a. von Julia Entner/Isabell Gross/Isabella Schiele und Björn Benediz mit Oliver Bulas,Konzerte von I.E.ORG.I.EN, Schnitzelinoquartett und Noisy13, dazu eine Bar von Friedrich Müller, die allesamt durchaus auch die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Teilweise fanden diese Performances auch gleichzeitig statt, oder an anderen Orten in diesem doch sehr weitläufigen Ambiente, sodass man zwangsläufig das ein oder andere verpasste. Hierzu hätte man vielleicht Christoph Kellers & Ulla Rosseks Dosentelefon besser nutzen können, aber das viel wohl keinem ein. Ist dies aber nun ein Zeichen dafür, dass etwas NICHT redundant wird, wenn man es verpasst hat? Bekommt es dadurch nicht noch mehr ein Gefühl von Wichtigkeit?
Die Performance, oder besser gesagt, die Inszenierung von Merlin Carpenter habe ich allerdings nicht verpasst. Die Arbeit mit dem Titel Curator On The Phone zeigte genau das: Hier konnte man einen jungen britischen Kurator beobachten, wie er eine Stunde lang telefonierend im Park der Wandelhalle stand. Dezent gekleidet in einem beigen Trenchcoat und schwarzer Hose, konzentriert telefonierend, entspricht dieses Bild von einem Jungkuratoren eine Phänomen, das immer öfter anzutreffen ist. Nicht zuletzt, weil in Zeiten eines angeblich immer noch boomenden Marktes der Job des ‘freelance curators' als neuester Trend ausgerufen wird, kann diese Arbeit durchaus als institutionskritisch gelesen werden. Hier steht nicht nur ein lebendiges Monument für die aufstrebende Macht der Kuratoren im Park sondern auch ein Zeichen dafür, wie sich Künstler dieser Problematik bemächtigen können. Der Kurator ist nicht mehr jemand, der über Definitionsmacht verfügt, sondern wird als Figur gezeigt, die selbst zum Kunstwerk gemacht wird. Laut Carpenters Webseite besteht die Arbeit aus ‘Kurator, Telefon und Gras', doch scheint sie hier durch die anderen Kuratoren komplettiert, die bei ihrem Vernissagebesuch in Bad Tölz die Performance von weiterem beäugten. So wären wir dann auch wieder beim Thema Redundanz und Wiederholung, Echo und Spiegelung.
Eine angenehme Abwechslung zum sonstigen großstädtischen Vernissage-Hopping brachte der Ausflug nach Bad Tölz. Zum einen bricht schon das Format das gewohnte Verhalten von uns Ausstellungsbesuchern: Die prozessorientierte Ausstellungssituation, die das Entstehen der Arbeiten vor Ort, die verschiedenen Performances aber auch die bisher bereits stattgefundenen Konzertabende miteinschließt, ließ diesen Abend keinesfalls redundant werden.
Zum anderen war man aber zudem auch durch die gezielte Anreise der Ausstellung gewissermaßen ausgeliefert. Keine weiteren Events hätten in Bad Tölz für Konkurrenz sorgen können. So konnte bzw. musste man seine Zeit in und mit der Ausstellung nutzen, aber auch dem ganzen länger als sonst gegenüberstehen. Wo über acht Stunden Programm stattfand, war genug Zeit für alle Belange, die man bei sonstigen Ausstellungseröffnungen oft oberflächlich abkürzt. Hier konnte genügend Zeit den Arbeiten, Performances und Konzerten gewidmet werden, es konnte aber auch getrunken, gegessen und geplauscht werden, es war sogar denkbar einen kleinen Spaziergang einzulegen, um schließlich mit frischem Kopf und Gedanken wieder zurückzukommen.So konnte die verbrachte Zeit in allen möglichen Facetten genutzt werden, vor allem aber zum Zusammenkommen mit den unterschiedlichen künstlerischen Arbeiten als auch zum Zusammenkommen des Vernissagepublikums untereinander. Auch insofern war der Name des Gebäudes Programm und man fand alle Besucher immer wieder durch die enorm lange Halle wandeln. Von einer Arbeit zur nächsten und wieder zurück, dann wieder zur Performance im Garten, oder vielleicht lieber erstmal doch an die Bar.